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Echo-Verleihung 2013: Was war bloß mit Lena los? Und wo war Heino?

Morgens um drei war die Welt wieder in Ordnung. Campino von den Toten Hosen hielt Hof in der Warner-Lounge, blendend gelaunt. An der EMI-Bar ließ sich Loona von einem Unbekannten zutexten, Tim Bendzko tapste leicht kurzsichtig durchs Partyvolk, und die ehemalige „DSDS“-Kandidatin Annemarie Eilfeld war im knappen roten Moulin-Rouge-Kleid noch immer auf der Suche nach Leuten, die sie vielleicht fotografieren wollten.

Campino mit Moderatorin Nina Moghaddam auf der Echo-Aftershow (Foto: ddp images/Guido Ohlenbostel)
Campino mit Moderatorin Nina Moghaddam auf der Echo-Aftershow (Foto: ddp images/Guido Ohlenbostel)

Die eigentliche Echo-Verleihung, eine der größten europäischen Pop-Award-Galas, die über dreistündige Veranstaltung, die vor der Aftershow kommt – sie fühlt sich rückblickend oft an wie ein besonders unangenehmer Zahnarzttermin. Die Feier hinterher, im Palais am Berliner Funkturm, ist nur deshalb so ausgelassen, weil alle so wahnsinnig froh sind, dass sie es für dieses Jahr wieder hinter sich haben.

Es ist immer dasselbe, auch bei der 22. Ausgabe: Beim Echo kommen all die Figuren zur großen Show zusammen, die man entweder noch nie leiden konnte oder schon beim ersten Anblick nicht erträgt. Denen man schon gar keinen Preis gönnen würde. Spätestens dann erklärt einem irgendwer, dass der Echo ja ein Award der Musikindustrie ist, bei dem es nur auf Umsatzzahlen ankommt und nicht auf künstlerische Qualität. Anschließend besaufen sich die Teilnehmer und ihre rund 3000 Gäste, die Zuschauer regen sich noch ein bisschen auf. Und am nächsten Tag ist alles vergessen.

Deshalb wollen wir hier doch mal kurz festhalten, als kleinen Merkzettel für nächstes Jahr, was wir bei der Echo-Verleihung 2013 alles gelernt haben.

Punkt eins: Die deutsche Popbranche ist ein einziges Kumpelnest. Alle haben sich wahnsinnig lieb, von Schlagersängerin Helene Fischer über Geigenwichtel David Garrett bis zu Ex-Punk Campino oder Schmuserapper Cro. Weil es nur noch drei große Plattenfirmen gibt, wird auch immer und immer wieder denselben sechs Leuten gedankt, und das höchste denkbare Maß an Stichelei besteht darin, dass sich Düsseldorfer über Köln lustig machen (und umgekehrt). Im Vergleich dazu ist selbst die Oscar-Verleihung eine Hexenverbrennung. Bei so viel Harmonie fragt man sich bloß: Ist das Wesen einer Industrie nicht die Konkurrenz?

Punkt zwei: Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man glauben, Lena Meyer-Landrut wäre auf irgendwelchen sehr seltsamen Drogen hängengeblieben. Wie sie nach Empfang des lumpigen Video-Awards in Tränen ausbrach und später völlig hysterisch Frida Gold ansagte, das war keiner dieser großen, emotionalen Momente. Sondern gruselig.

Punkt drei: In Deutschland herrscht ein akuter Mangel an Pop-Prominenten. Entsprechend beschäftigt waren alle an diesem Abend: Wer seinen Award in Empfang genommen hatte, musste meistens gleich nochmal als Laudator für einen anderen ran. Oder für eine Gesangseinlage. Sogar Moderatorin Helene Fischer bekam zwei Echos verliehen, täuschte relativ schlecht vor, sie habe das nicht gewusst. Campino war am stärksten im Stress, mit vier gewonnenen Echos für die Toten Hosen, einer Laudatio für Led Zeppelin und einem Auftritt zum Finale. Einige Fressen sah man im Lauf des Abends derart oft – man hätte sich kaum über die Enthüllung gewundert, dass die Stars auch noch in der Jury sitzen und sich die Preise selbst zusprechen.

Punkt vier: Til Schweiger ist, was Eigen-PR angeht, der schmerzfreiste Mensch der Welt. Als er auf die Bühne kam, um Linkin Park den Award zu überreichen, hielt er allen Ernstes die DVD seines Films „Schutzengel“ in die Kameras. Ihm graut vor nichts.

Punkt fünf: Die Rolling Stones sind eine Alternative-Rockband. In der Kategorie waren sie jedenfalls nominiert.

Punkt sechs: Was Humor und Selbstironie angeht, haben deutsche Stars ein unfassbares Defizit. Alle, praktisch alle dankten nach der Preisverleihung ihren Fans, ihrem Team, den Vertretern der drei Plattenfirmen – es brauchte schon Robbie Williams, in einem Einspielfilm aus L.A., um hier ein Glanzlicht zu setzen. Er dankte: sich selbst. „Ohne mich hätte ich das niemals geschafft.“ Das denken die Kölner und Berliner Musiker auch. Sie sagen es nur nicht.

Punkt sieben: Heino muss krank gewesen sein. Dass der penetrante Brillenmann, dem man zurzeit ja absolut nirgends entkommt, sich am Ende nicht noch irgendwie ins Scheinwerferlicht drängelte, kann nur mit höherer Gewalt zu tun haben.

Punkt acht: Sogar einen Auftritt echter Rock’n’Roll-Götter kann man in den Sand setzen. Mit Jimmy Page und John Paul Jones von der legendären Hardrockband Led Zeppelin waren zwei absolute Großmeister in Berlin zu Gast – und wen wählte die Regie als Laudator? Campino, der als ehemaliger Punk natürlich zeitlebens alle Ideale bekämpfte, die Brusthaar-Hedonisten wie Jimmy Page verkörperten. In seiner Rede ließ er dann auch nicht aus, dass er Led Zeppelin lange Zeit nur gehört habe, weil ein nerviger Busfahrer keine bessere Musik dabei hatte. Traurig.

Echo 2013: Die Gewinner

Punkt neun, und das ist bei allem Spaß die größte Enttäuschung: Für echte Debatten ist beim Echo gar kein Platz. Viele Schlagzeilen hatte es gegeben, weil diverse Bands gegen die Nominierung der rechtskonservativen Gruppe Frei.Wild protestiert hatten. Zwei sagten deshalb sogar die Echo-Teilnahme ab, woraufhin die Veranstalter Frei.Wild wieder ausluden. Vor der Tür der Berliner Messehallen demonstrierte die NPD – und im Saal gab es kein einziges Wort dazu. Schlimmer: Auch die Namen der Widerständler wurden aus dem Programm gestrichen. Was hätte es geschadet, das Problem kurz zu beleuchten? Warum hat keiner der vielen, vielen Redner den Mund aufgemacht? Die Chance, beim Echo ein Zeichen gegen Fremdenhass und ranzigen Nationalismus zu setzen, wurde so kläglich vertan, dass man es kaum fassen mag.

Immerhin wurde ganz am Schluss noch Hannes Wader für sein Lebenswerk geehrt, einer der größten politischen Sänger der 60er- und 70er-Jahre. Ein rührender, irgendwie greifbar echter Moment. Den die Regie dann aber auch ruinierte, als sie von hinten noch die Toten Hosen auf die Bühne schickte, die Waders Gesang mit Gitarren- und Schlagzeugdonner niederwalzten. An der Stelle kann man eigentlich nur das Lied zitieren, mit dem die Volkmusik-Preisträger Santiano auftraten: „Wir brauchen Rum, Rum, Rum, sonst verdursten wir.“ Warum nach all den Echo-Erkenntnissen eine fette Party nötig ist, auch zum Vergessen, dürfte jedem einleuchten. Bis 2014 dann.

Video: Die Echo-Verleihung 2013