Mick Jagger zum 70. Geburtstag: Wie die Rolling Stones sein Leben retteten

Am Freitag, 26. Juli, wird Mick Jagger 70 Jahre alt.
ServusTV zeigt am Sonntag, 28. Juli um 23.10 Uhr die Dokumentation: "Die Rolling Stones - ein Rückblick auf 50 Jahre Bandgeschichte"

Am Geburtstag soll man eigentlich nicht über den Tod sprechen, aber an diese Nacht müssen wir kurz erinnern: die Nacht, die um ein Haar Mick Jaggers letztes Stündchen geworden wäre.

1975 passierte es, da war er 32, das genaue Datum ist unbekannt. Jagger weilte gerade in seinem Häuschen auf Long Island, New York, als sich einige finstere Gestalten in einem Boot auf den Weg machten. Mitglieder der Hells Angels, des berüchtigten Motorradclubs, mit dem Jagger einige Jahre davor großen Ärger gehabt hatte: Im Dezember 1969 hatten eine Rockertruppe die Besucher eines Rolling-Stones-Konzerts drangsaliert, sogar einen Zuschauer umgebracht, woraufhin der Sänger sich öffentlich von den Angles distanzierte.

Das sollte nun gerächt werden. Übers Wasser wollten die Bösewichter sich Jaggers Anwesen nähern, die Alarmanlage umgehen, ihn überfallen und hinrichten. Sie hatten die Rechnung ohne die Naturgesetze gemacht. Wie erst 33 Jahre später bekannt wurde, ergriff ein Sturm das Hells-Angels-Boot und ließ es kentern. Jagger hatte einen netten Abend. Er bekam überhaupt nicht mit, dass es ihm um ein Haar an den Kragen gegangen wäre.

„Mick Jagger ist der Herr des Winds und des Wetters“, hat der U2-Sänger Bono kürzlich gesagt, in einem Interview zu Jaggers 70. Geburtstag am 26. Juli. Die Geschichte mit dem gescheiterten Mordanschlag wird er nicht im Hinterkopf gehabt haben, aber selbst allgemein gesprochen hat er recht: Man muss zu diesem schönen Anlass auch einmal kurz daran denken, welchen denkbaren Schicksalen der Jubilar in den letzten 50 seiner 70 Jahre so von der Schippe gesprungen ist.

Was Mick Jagger alles hätte passieren können: Erschlagen von einem eifersüchtigen Groupie. Hängengeblieben auf einem schlechten LSD-Trip. Schwer verwundet von einem Gitarrenhieb seines Sandkastenfreundes Keith Richards, mit dem er sich vor allem in den 80er-Jahren bösartigste Kämpfe lieferte. Vom Krokodil gefressen bei den Test-Aufnahmen zu Werner Herzogs „Fitzcarraldo“, bei dem Jaggers Rolle dann doch weggestrichen wurde. Am schlimmsten: Wenn er damals sein hochwohlgeborenes Studium an der London School Of Economics abgeschlossen hätte, wäre er womöglich Diplomat, Lobbyist oder irgendwann britischer Premierminister geworden. Aber er wäre vor Langeweile eingegangen. So gesehen haben natürlich auch die Rolling Stones das Leben von Mick Jagger gerettet, Hits wie „(I Can’t Get No) Satisfaction“, „Paint It Black“, „Angie“ oder „Jumpin’ Jack Flash“, die ihm etwas von ihrer Unsterblichkeit abgegeben haben. Oder umgekehrt.

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Schon bei Jaggers Fünfzigstem wurde gewitzelt, wie lange er das denn noch machen wolle, die Turnübungen auf der Bühne, das Gebalze. Schon seit den 80er-Jahren gelten die Stones ja als Seniorenrocker, als Indiz dafür, dass die Gegenkultur ihren jugendlichen Kick verloren hat. Aber wer dabei war, als die Band Anfang Juli zwei umjubelte Open-Air-Konzerte im Londoner Hyde Park gab, allein wer den absolut grandiosen Live-Mitschnitt hört, den es derzeit als Download zu kaufen gibt – der wird sich ernsthaft fragen, ob das nicht immer noch viel zu kurz gedacht ist, die Sache mit dem Lebensalter und der Revolution. Ob einer wie Jagger nicht irgendetwas in sich hat, etwas Unzerstörbares, das heute noch viel mehr Furor und umstürzlerischen Impetus in sich trägt als die redlichen Bemühungen der Zeitgenossen.

It's only Rock'n'Roll: Mick Jagger im Juli 2013 live im Hyde Park (Bild: ddp/Invision/Jon Furniss)
It's only Rock'n'Roll: Mick Jagger im Juli 2013 live im Hyde Park (Bild: ddp/Invision/Jon Furniss)

Vielleicht eine gewisse Sorglosigkeit. Einerseits die, unbeschädigt aus den Sixties erhalten, dass alle Verhältnisse irgendwie zu ändern sind. Egal wie versteinert sie erscheinen. Und gleichzeitig die Gewissheit, dass uns auch das schlimmste Schicksal nicht umbringen wird, weil es immer einen eskapistischen Ausweg gibt, den Schlupfwinkel des Hedonisten. Eine Art Kiffer-Opportunismus, den die Stones mit ihrem Lebensstil, ihrem Savoir Vivre immer viel überzeugender repräsentierten als die emsigen Beatles. Die scheinbare Leichtigkeit, mit der Mick Jagger durch seine 70 Jahre gesegelt ist, an allen Gefahren vorbei, verteufelt und angebetet, ins Gefängnis gesperrt und gleich wieder freigelassen, sie kommt daher. Aus dem leisen Spott, dem Mach-mal-halblang, das man auf fast allen Fotos im Mundwinkel seines Lächelns glitzern sieht.

Heute ist Mick Jagger ein Ritter der Königin, hat (mindestens) sieben Kinder von vier verschiedenen Frauen, und eben wurde eine seiner Haarlocken aus den 60er-Jahren für über 4000 Euro versteigert. Und so sehr man bei seinem alten, auch nicht klein zu kriegenden Kompagnon Keith Richards oft ins Grübeln kommt, wie lange er noch auf die Bühne gehen wird, zweifelt man bei Jagger keine Sekunde lang daran. Selbst wenn die Stones sich nach ihrer derzeitigen Elefantentour zur Ruhe setzen sollten, der Sänger wird noch eine Weile bei uns bleiben. Sei es solo, mit seiner Zweitgruppe Super Heavy oder in einer anderen Konstellation. Die Gelassenheit reicht noch für viele Jahre.

Manchmal sei er sich nicht ganz sicher, ob es Kunst oder nur Sturheit sei, immer noch die Songs von früher zu spielen, gab Jagger kürzlich in einem Interview mit dem "Toronto Star" zu. „Aber je länger ich darüber nachdenke, desto stärker wird die Gewissheit, dass wir stolz auf dieses Werk sein können.“ Der alte Fuchs weiß das. Keine Alternative hätte ihm gereicht.

Joachim Hentschel