Cascada für Deutschland – der Hit, den wir verdienen

Es gibt exakt zehn Dinge, die man niemals tun sollte, wenn man irgendwann bei der deutschen Vorentscheidung zum Eurovision Song Contest antritt.

Cascada-Sängerin Natalie Horler vertritt Deutschland in beim ESC in Malmö (Bild: ddp images)
Cascada-Sängerin Natalie Horler vertritt Deutschland in beim ESC in Malmö (Bild: ddp images)

1. Man sollte niemals knödelig „Dankeschööön!“ in den Saal rufen, bevor das Publikum überhaupt applaudiert hat.
2. Man sollte sich im Ankündigungsvideo niemals als „eine der besten deutschen Livebands“ bezeichnen lassen. Vor allem nicht, wenn klar ist, dass alle Künstler diese Videos selbst drehen und mitbringen.
3. Wenn man beim Singen eine Mönchskutte trägt, soll man nie die Hände in die Taschen stecken.
4. Nur weil der Song Contest eine internationale Veranstaltung ist, soll man nicht krampfhaft Texte in leicht verständlicher Kindersprache schreiben, „la la la la“ zum Beispiel.
5. Man sollte niemals einen irren tätowierten Keyboarder mit Ohrenklappenmütze und zwei Instrumenten neben sich auf die Bühne dulden, wenn man selbst nur eine kleine, schmale Soulsängerin ist. Der Typ stiehlt einem unter Umständen die Show.
6. Man soll keine Frisur tragen, die wie ein erschlagenes Waschbärweibchen aussieht.
7. Sätze wie „Musik ist eine Sprache, sie ist eine Art kollektives Bewusstsein“ sollte man nicht sagen, wenn man selbst nur schlecht gesungenen 80er-Jahre-Synthiepop parat hat.
8. Man sollte sich auf keinen Fall wie die Blues Brothers kleiden, mit Anzug und Sonnenbrille. Das weckt unschöne Erinnerungen.
9. Man soll Operngesang und typisches, abgehangenes Souldiven-Gebrüll niemals sinnlos mischen.

Und vor allem, die wichtigste Faustregel:
10. Man soll nie mit einem Song antreten, der im Prinzip nur eine schlechte Coverversion des Siegertitels vom letzten Jahr ist. Das ist nicht etwa taktisch geschickt. Das merken alle, und dann ist es ungefähr so peinlich, wie wenn man als Bundesministerin mit einer abgeschriebenen Doktorarbeit erwischt wird.

Es ist fast schon klar: Bei „Unser Lied für Malmö“, der großen ARD-Show, in der am Donnerstagabend der deutsche Beitrag für den Eurovision Song Contest in Malmö gewählt wurde, wurden jede einzelne dieser Regeln gebrochen. Verletzt, muss man sagen, um auch die Schmerzen rüberzubringen, die das größtenteils beim Zuschauen auslöste. Am allerschlimmsten: Der Titel, der das letzte und entscheidendste der Gebote brach, „Glorious“ vom Bonner Danceduo Cascada, eine nicht mal notdürftig kaschierte, billige Discountversion des schwedischen 2012er-Gewinners „Euphoria“ – der stand am Ende als Siegersong fest. In den schlagerseligen 70er-Jahren hätte man das wahrscheinlich zur nationalen Tragödie ausgerufen. Aber da wäre es auch nicht passiert.

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So sehr man sich heute auch immer vom sogenannten Grand Prix distanziert, ihn im Jahr 2013 als antiquierte Lachnummer darstellt, die vergilbten, längst ungültigen Showregeln folgt: Dass ein Popsong zumindest ein paar Wochen lang derart hohe Aufmerksamkeit genießt, dass ihm so viel symbolische Kraft zugemessen wird, dass selbst die Leute, die sich niemals zum Finale-Gucken vor den Fernseher setzen würden, am nächsten Morgen fragen, wie wir denn abgeschnitten haben, das ist eine absolute Rarität. Ein letztes, bewahrenswertes Überbleibsel der Zeit, in der das Publikum sich noch nicht auf tausend verschiedene Bildschirme verteilt hatte. Die Erinnerungen an Lena Meyer-Landrut und ihren „Satellite“-Coup sind frisch – ein Moment, in dem eine unvergleichliche, schwer wegzudiskutierende Magie steckte.

Umso fassungsloser machte die Show, die am Donnerstag aus der Tui-Arena in Hannover übertragen wurde. Wie in einer Mediamarkt-Werbung als „größtes Musik-Mega-Event der Welt“ angekündigt, schlitterte die Eurovision-Vorauswahl auf dem inhaltlichen Niveau eines bunten Betriebsfestabends ins Ziel: unsichere Eighties-Adepten (Ben Ivory, Blitzkids mvt.), lachhafte Altschlagerpastiche (Betty Dittrich), Pathos auf Stadtsparkassen-Niveau (Söhne Mannheims, Nica & Joe), eine völlig bizarre, fast schon rätselhafte Stichprobe aus dem deutschen Gegenwartspop. Der Auftritt der bayrischen Blasmusikgruppe LaBrassBanda war immerhin überraschend, der Song trotzdem blass. Insgesamt überzeugte noch am ehesten der Auftritt der Berliner Soulsängerin Saint Lu, aber auch sie hätte im Laserstrahlengewitter des Malmö-Finales am 18. Mai keine Chance zum Auffallen gehabt.

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Moderatorin Anke Engelke – der man im ärmel- und rückenlosen Kleid überdeutlich anmerkte, wie verstört sie selbst von den Darbietungen war – konnte der zwischen Jury, TV- und Radiopublikum aufgeteilten Punktevergabe im letzten Showdrittel immerhin noch ein paar Gags abgewinnen. Ihre Freude über den Sieg von Cascadas Faschingsdiscobums war leider schlecht gespielt. Es wäre auch eine übermenschliche Leistung gewesen.

Allerdings, und auch das muss man anmerken: Ausschlaggebend für den Triumph waren die Zuhörerstimmen. Im Bekanntenkreis werden natürlich alle abstreiten, für Cascada angerufen zu haben, und es wird noch genug gespottet werden in den kommenden Wochen. Aber der alte, zu oft bemühte Spruch, dass jedes Land am Ende die Hits hat, die es verdient – er wird auch hier wieder von den Fakten gestützt. Die Deutschen lieben Cascada und freuen sich herzlich, von ihnen in Malmö vertreten zu werden. Sie wissen es vielleicht nur nicht.

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