Werbung

„Absolute Mehrheit“: Sido gewinnt 300.000 Euro in Raabs Pro7-Talk

Es ist der Moment, den Stefan-Raab-Fans sonst aus seinen anderen Wettkampf-Sendungen kennen – etwa dem Glitzerfitzelfinale, wenn es einem der Showkandidaten doch tatsächlich mal wieder gelungen sein sollte, die selbsternannte „Killerplauze“ zu schlagen. Um zwanzig vor eins in der vorgerückten Sonntagnacht erlebte nun auch die neue, vieldiskutierte und irgendwie ja doch recht respektable Polit-Talkrunde „Absolute Mehrheit“ so einen Triumph-Moment. „Der Koffer geht raus“, verkündete Stefan Raab. Und ob dies für seine Sendung nun wirklich ein Moment zum Jubeln war oder nicht, ließ er sich nicht anmerken.

Erster Sieger, der es in der dritten Ausgabe der Sendung tatsächlich geschafft hatte, mit Zuschauer-Wählerstimmen von 56,5 Prozent die titelgebende Mehrheit zu erzielen, war der Rapper Sido. Der fackelte nicht lang, erhob sich von seinem Sessel, packte den Geldkoffer und hätte am liebsten schnurstracks das Studio verlassen. Raab konnte ihn zwar noch kurz aufhalten. Die Frage, die nicht nur das Live-Publikum in Köln, sondern vermutlich fast alle Zuschauer zuhause brennend interessiert hätte, was Sido mit dem Zaster anfangen bzw. ob und wie er die stolze Summe einem „guten Zweck“ zuführen möchte, wurde nicht mehr geklärt. „Dafür haben wir jetzt keine Zeit mehr“, sagte Stefan Raab noch – und schon rollten die Abspann-Credits übers Fernsehbild.

Für Paul Hartmut Würdig, der seinen Künstlernamen angeblich von „Super-intelligentes Drogen-Opfer“ ableitet, hat es sich in der Sendung offensichtlich gelohnt, „eine Meinung zu haben“, wie der Nebentitel der ProSieben-Show nahelegt. Einziger Wermutstropfen: Welche Meinung Sido genau hat, war in der durchaus lebhaften und über weite Strecken anspruchsvoll geführten Diskussion nicht immer ganz klar zu ermitteln. Gerade weil er neben seinen Debatten-Kombattanten der einzige Nicht-Polit-Profi war, fehlte seinen Meinungen die Klarheit.

Sido sagte im Vergleich zum Zweitplatzierten Jens Spahn von der CDU und der Drittplatzierten, der stellvertretenden Linken-Vorsitzenden Caren Lay, deutlich weniger – konnte sich aber offenbar auch schon vor seinem ersten Wortbeitrag seines treuen Fan-Rückhalts vor den Fernsehgeräten sicher sein. Dass er so mit großem Abstand siegte, mag den alten Streit, ob Stefans Raabs selbsternannter Kampf gegen die Politikverdrossenheit der Jüngeren nicht doch vielleicht nur populistischer Klamauk ist, neu beleben.

Trotzdem täte der Vorwurf einer Sendung, die sich über weite Strecken als ernstzunehmende junge Alternative zum geschwätzigen Jauch-Maischberger-Plasberg-Illner-Will-Beckmann-Einerlei erwies, Unrecht. Wenn Sido-Fans auch nur im Vorbeigehen einige Impulse der Debatten aufgegriffen haben sollten, wäre dies schon Sendezeit (und die von ProSieben ausgelobte eher fragewürdige als zielführende Siegprämie) wert.

Auch wenn die Themen der aktuellsten „Absolute Mehrheit“-Ausgabe – Legalisierung von Drogen, die Debatte um eine Absenkung des Wahlalters oder die Begrenzung von Manager-Gehältern – eher einen Schlagabtausch platter Gemeinplätze erwarten ließen, begann allein schon der Einstieg in die erste Wortgefechtsrunde mit einer Überraschung: Vier von fünf der Gesprächspartner – darunter neben CDU-Mann Spahn der rührige Kiez-Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) aus Berlin-Neuköln als Senior der Runde – bekannten sich auf Raabs Eingangsfrage dazu, schon einmal gekifft zu haben. Einzige Ausnahme: Ausgerechnet Boris Palmer, Grünen-Oberbürgermeister von Tübingen, konnte keine Joint-Erfahrungen vorweisen. „Ich komme ohne Rauchen, Kiffen oder Alkohol besser zurecht“, sagte er. „Aber ich will anderen nichts vorschreiben.“

In einer Diskussion, die lange die gesellschaftlichen und gesundheitlichen Gefahren von Alkohol- und Drogengebrauch gegeneinander aufrechnete, punktete Sido bei seinen Unterstützern mit der liberalsten Position zum Umgang mit weichen Drogen. „Entweder man verbietet Alkohol und Tabak genauso wie Gras“, sagte er. „Oder man verbietet nix.“

Von Spahn, der schon in der ersten Runde die zweitmeisten Stimmen auf sich versammelte, war nicht ernsthaft zu erwarten, dass er sich gegen den konservativen Partei-Konsens für eine Cannabis-Freigabe einsetzen würde. Er betonte dann auch, dass sie das falsche Signal an junge Leute wäre, mahnte aber auch die Einhaltung bestehender Gesetze gegen Alkohol- und Tabakmissbrauch an. „Wir haben Jugendschutzgesetze. Und die heißen ja nicht Spielverderbergesetze“, sagte er und fügte an: „Ich würde mich freuen, wenn die Städte und Gemeinden den Verkauf von Alkohol so kontrollieren würden wie das Falschparken.“

Auch in der zweiten Frage, ob man das Erstwähleralter nicht generell auf 16 Jahre absenken sollte – und das nicht nur für Abstimmungen auf kommunaler Ebene -, setzte Sido auf die größtmögliche Lockerung bestehender Regelungen – bis hin zur Wahlfreiheit für Kinder. Dem setzte Spahn das Modell eines Familienwahlrechts gegenüber, bei der sich das politische Stimmgewicht durch die Anzahl der Kinder erhöhen könnte. Während Raab den Vorschlag bemerkenswert fand, zuckte Sido bloß mit den Schultern. Auf Nachfrage musste er sogar zugeben, dass er nicht ganz zugehört habe. Seinem Stimmergebnis in der zweiten Runde tat’s trotzdem keinen Abbruch.

Dafür platzierten sowohl Lay als auch der Grünen-Politiker Palmer Stiche, als sie die Frage aufwarfen, ob man die Wahlmöglichkeiten nicht nur „nach unten“ lockern, sondern auch „oben“ hinterfragen sollte. „Kann denn ein 70-Jähriger die Tragweite seiner Entscheidungen überblicken“, warf die Linken-Spitzenpolitikerin als ketzerische Frage auf. Palmer stellte süffisant fest, dass in Altersheimen in der Regel für die CDU gestimmt wird. Doch Spahn blieb schlagfertig. „Es soll mittlerweile auch grauhaarige Grüne geben“, warf er seinem 40-jährigen Kollegen an den melierten Kopf.

Blieb die dritte Runde, die mit ihrer programmierten Empörung über exorbitante Manager-Gehälter wie das 14,5-Millionen-Euro-Jahres-Salär, die Deutschlands Top-Verdiener, VW-Chef Martin Winterkorn einstreicht, eigentlich ein Heimspiel für die Linken-Vertreterin werden sollte. Doch auch hier liefen einige Schlachtlinien unerwartet. Während Spahn dafür plädierte, nicht den Staat festlegen zu lassen, wer wie viel verdienen solle, machte sich Buschkowsky für den Vorschlag stark, die steuerliche Absetzbarkeit von Manager-Boni und -Abfindungen zu begrenzen. In der Sache, dass es Auswüchse zu vermeiden gilt, war man sich allerdings einig.

Und Sido? Der bekannte sich überraschend deutlich zum Leistungsprinzip. Wenn sich die Platten eines Rappers 400 Mal besser verkauften, müsse er auch 400 Mal mehr einstreichen dürfen. „Fleißige Leute sollen auch mehr verdienen“, sagte er. Von Stefan Raab, der sich auf Nachfrage die Höhe seines eigenen Gehalts mal wieder nicht entlocken ließ („Ich rede dummerweise nicht über Privates“), musste sich Sido dafür foppen lassen. Während er in zwei Runden eher Linke- oder Grünen-Positionen vertreten habe, outete er sich, dann, wenn’s ums Geld ging, als „Neoliberaler“. Sido stutzte nur kurz und sagte, er wisse nicht, was das heiße. Er zuckte noch einmal mit den Schultern. Und ließ sich dann den Geld-Koffer geben.