„Das Supertalent”: Niveaulimbo im Show-Zirkus

Seit September zieht sich die Castingshow „Das Supertalent" mittlerweile hin. Mit dem vierten Halbfinale rückt das Ende des Jahrmarkts der abgedrehten Fähig- und Fertigkeiten endlich in greifbare Nähe - heute werden die letzten drei Teilnehmer für das große Samstags-Finale gewählt. Ob sich wie bei der letzten Sendung wieder jeder vierte Zuschauer (7,71 Millionen) vom Wegzappen abhalten lässt?

Das Rezept der Show ist simpel: Auf pompöse Inszenierungen treffen große Gefühle - trifft eine harte, aber stets gerechte Jury. Man gebe zwei quirlige, um keinen noch so platten Witz verlegene Moderatoren hinzu und Kandidaten, für die der Auftritt beim „Supertalent" vor allem eines ist - eine ungeheure Chance - und erhält: Abendunterhaltung 2.0. So jedenfalls die Vorstellung von RTL. In Wahrheit ist das eher unreflektierte Reizüberflutung denn Stoff für einen gemütlichen TV-Abend. Aber schön der Reihe nach.

Zehn Acts, die sich in den Augen der Jury in einer der Vorrunden bewährt haben, treten auf. Darunter ein paar grottige Kandidaten(pardon, aber ein Mann, der ein Bohlen-Portrait mit Stirn und Geschlechtsteil zeichnet?) aber auch ein einige, die ordentlich Eindruck schinden. So wie die DDC (Dancefloor Destruction Company), fünf sehr synchron performende Breakdancer oder Darko Kordic, Sänger mit schöner Stimme und bewegter Boyband-Vergangenheit. Er war einst Mitglied bei der „3. Generation", die der eine oder andere vielleicht noch ob ihres Hits „Leb!" kennt, dessen Remake nach Auflösung der Gruppe von „Big Brother" als Titelmusik verwurstet wurde.

Womit wir bei den großen Gefühlen wären. Denn die Geschichte um Darko, die so tragisch gar nicht daherkommt, wird bei RTL so erzählt: Nach dem Aus der Band rutschte Darko in ein Loch. Sein Leben verlief in ungeordneten Bahnen, er schaffte es nur mehr zum Maler und Lackierer. Einziger Ausweg aus der Lebensmisere: „Das Supertalent". Die Minuten auf der Bühne vor Bohlen und Co wird er in seinem ganzen Leben nicht mehr vergessen. Holla. Natürlich ist es unschön, das „Star"-Dasein gegen Pinsel und Farbe zu tauschen, aber so unschön?

Timothy Patch

Auch die anderen Talente haben durch die Bank ein hartes Schicksal: Ob Sängerin Sonja Pesie, deren Mutter ihr einredete, sie sei hässlich oder Nilson und Zito, Brüder, die sich tanztechnisch durchaus mit Michael Jackson vergleichen lassen können. Sie sind schwarz und kamen wohl schon mehr als einmal mit Rassismus in Berührung. Offenbar denkt RTL, es bedarf einer rührseligen Geschichte, damit die Zuschauer wenigstens Mitleidsanrufe für die Kandidaten tätigen.

Aber Mitleid allein? Da geht doch noch mehr. Deswegen wird die Mehrzahl der Supertalente in einer Art „Romantik für Arme"-Bühnenbild inszeniert. Ruddy Estevez singt in Nebelschwaden, Sonja im glitzernden Konfetti-Regen. Bei dem Duo aus Glasharfen-Spieler Petr und Gitarrist Antonin schneit es gar - aber gut, sie spielen auch „I'm Dreaming of a White Christmas", da ist so ein bisschen Kunstschnee schon fast wieder nachvollziehbar. Angekündigt werden die beiden übrigens mit den Worten: „Kack die Wand an, was `ne geile Mucke". Auf diesem Niveau ist Daniel Hartwich, Moderator Nummer zwei neben Biedermann Marco Schreyl, die überwiegende Showzeit unterwegs. Das Jungvolk hat dafür mittlerweile sogar ein eigenes Wort erfunden, das von der Langenscheidt-Jury zum Jugendwort 2010 gekürt wurde: Niveaulimbo - es geht immer noch tiefer.

Ähnlich interessante Kommentare hat Dieter Bohlen, Jury-Urgestein des „Supertalents", zu bieten. Thomas Lohse, Klavierspieler, bezeichnet er als „jungen Paul Potts am Klavier", Beatboxer Peter fertigt er mit einem knappen „Das ist mehr so ARTE, 22.45 Uhr" ab. Ordentliche Bandbreite: von total euphorisch hin zu schlechter ging nicht. Dabei haben doch er, Sylvie van der Vaart und Bruce Darnell als heilige Jury-Dreifaltigkeit die heutigen Artisten ins Halbfinale durchgewunken. Na, irren ist menschlich. Bleibt lediglich eines: Die zaghafte Hoffnung, dass Bohlens implizite Ankündigung einer Nachfolger-Staffel „Supertalent" am Ende der Sendung auch ein Irrtum ist.

Ins Halbfinale wurden vom Publikum Thomas Lohse und Darko Kordic gewählt, die Jury nominierte Ruddy Estevez nach.

Thomas Lohse

Darko Kordic

Bilder: RTL, dpa