Edgar Selge macht Berliner “Tatort” zum Psychostück

Der Verhörraum, unendliche Leiden ... TV-Krimis, die sich allzu sehr auf den psychologischen Aspekt in nicht enden wollenden Vernehmungen fokussieren, verlieren sich in der Regel in Langeweile. Auch der neue Berliner "Tatort: Machtlos" tendiert in Richtung Kammerspiel. Zwei oder drei Männer hocken in einem karg eingerichteten Raum an einem Bürotisch, auf dem ein Mikro platziert wurde - es ist die klassische Verhörsequenz, die den Film von Klaus Krämer über weite Strecken prägt. Doch langweilig ist hier gar nichts, denn der Mann, der den Kommissaren Felix Stark (Boris Aljinovic) und Till Ritter (Dominic Raacke) gegenübersitzt, ist ein einziges Rätsel. Der Kindesentführer Uwe Braun (gespielt vom ehemaligen Münchner "Polizeiruf"-Kommissar Edgar Selge) geht in einem zähen Film als einer der spektakulärsten Kriminellen in die "Tatort"-Geschichte ein.

Der Entführer Uwe Braun (Edgar Selge) im Vernehmungsraum (Bild: rbb/H. Spitz).
Der Entführer Uwe Braun (Edgar Selge) im Vernehmungsraum (Bild: rbb/H. Spitz).

Ein manischer Entführer, aber wohl kein schlechter Mensch: Edgar Selge, der für diesen Berliner "Tatort" erstmals gemeinsam mit seinem Sohn Jakob Walser drehte, übertrifft sich wieder einmal selbst. Lange Zeit kann und will man diesen Mann einfach nicht verstehen. Braun räumt die Entführung ein, doch wo er das Kind einer verzweifelten Bankiersfamilie festhält, verrät er nicht. - Zwangsläufig erinnert der Film an den Fall Jakob von Metzler. Doch diesmal stellt die Fiktion eher einen Gegenentwurf zur realen Vorlage dar. Niemand käme auf die Idee, Uwe Braun Folter anzudrohen, so wie vor zehn Jahren dem Metzler-Entführer Magnus Gäfgen. Was im Wesentlichen mit der komplexen Psychologie Brauns zu tun hat, der offensichtlich kein eiskalter Bösewicht ist. Aber was ist er dann? Ein armer Irrer?

Ritter und Stark (D. Raacke und B. Aljinovic, r.) beobachten die Geldübergabe (Bild: rbb/H. Spitz).
Ritter und Stark (D. Raacke und B. Aljinovic, r.) beobachten die Geldübergabe (Bild: rbb/H. Spitz).

Die Kommissare machen Druck, doch sie laufen gegen eine Wand. "Sie können sich gar nicht vorstellen, wie scheißegal mir das ist", antwortet Braun auf die Frage, ob er wirklich den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen will. Die Frage, die man sich als gespannter Beobachter unentwegt stellt, lautet: Wie geht man mit so einem Kerl um? - Es geht um ein Menschenleben, und den Ermittlern läuft die Zeit davon: Irgendwo leidet das eingesperrte Kind, vermutlich ohne Wasser und Nahrung. Doch der Entführer, dessen Renitenz nicht nur die Kommissare, sondern auch den Zuschauer mitunter unsäglich nervt, denkt nicht daran, sein Motiv, geschweige denn das Versteck preiszugeben.

"Der Entführer" - so könnte dieser ungewöhnliche Psychostreifen aus der "Tatort"-Reihe eigentlich auch heißen. Denn der gesamte Fall kulminiert um diesen Uwe Braun, wird zum Psychogramm eines extrem unzugänglichen Mannes, verkörpert vom fast beängstigend intensiv aufspielenden Edgar Selge. Der Krimi macht es seinem Publikum dabei alles andere als leicht, er hat quälende Längen. Doch "Machtlos" lebt bis zum Finale auch von einer gewissen Spannung. Ob es (nicht auszudenken!) diesmal ein totes Kind im "Tatort" gibt - oder (im Grunde genauso unmöglich) einen "Tatort" ohne Leiche, wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten.

("Tatort: Machtlos", Sonntag, 6. Januar, 20.15 Uhr, ARD)