„Einsatz in vier Wänden Spezial”: Messie sucht Mann, Wittler sucht Niveau

Sie heißt Tine Wittler. Sie ist „Deko-Fee", „Wohnexpertin" und Herrin über „17 bis in die Haarspitzen motivierte Veredlungskünstler" (Off). Vor allem jedoch ist sie ein Sinnbild für das Prinzip Dokutainment-Verarsche. Denn so gut die von ihr moderierte Sendung „Einsatz in vier Wänden Spezial" auch als harmlose Einrichtungsshow getarnt ist - tatsächlich handelt es sich bei der Mischung aus Dokumentation und Unterhaltung um eine Art Voyeurismus-Sause, die ihre willigen Protagonisten - also jene Menschen, deren Zuhause verschönert werden soll - im wahrsten Sinne des Worte bis aufs Hemd auszieht. Das Ergebnis dieses vor allem auf dramatische Erzählhöhepunkte angelegten Konzepts lässt sich dabei in drei Akte gliedern: Zunächst erfolgt ein detailversessenes Abfilmen des katastrophalen Ausgangszustandes im „ersten Messie-Generationenhaus" (Tine Wittler) von Mutter Silke und ihren Töchtern Danja und Jenny. Anschließend die actionreiche Renovierung. Letztlich die mit allgemeiner Harmonie überladene Reintegration der Damensippe in ihr altes-neues Heim. Und zwischendurch, da menschelt es ganz gewaltig - und geradezu wie nach Drehbuch.

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Das geht so: Die Kamera schwenkt ins offensichtlich über Jahre hinweg zugemüllte Haus der Familie Dittmann. Der Kommentator aus dem Off lässt das beim Privatfernsehen übliche Betroffenheits-Blabla ab, das bedenklich ins Beleidigende changiert. Mal ist also von „beschämender Normalität" in Dreck und Unrat die Rede, mal vom „düsteren Messie-Geheimnis". Damit das mehr oder weniger berechtigt erscheint, reden sich die Übeltäter, pardon, die Bewohner des Hauses gelegentlich noch ein bisschen selbst in die Pfanne: „Es ist oberpeinlich", fasst etwa Mutter Silke den Zustand der Räume zusammen. Warum sie trotzdem Tür und Tor einem Kamerateam und circa 4,51 Millionen Zuschauern (Quote von letztem Montag laut „Quotenmeter") öffnet, bleibt ein Rätsel.

Überhaupt erfährt das Publikum wenig bis gar nichts darüber, wo die Tendenz zu akuter Unordnung und Messie-Verhalten bei den Dittmanns eigentlich herrühren. Zwar wird kurz erwähnt, dass es mit der Sauberkeit seit jenem Zeitpunkt bergab ging, als der Vater die Familie vor mehreren Jahren verließ - doch genaue Einblicke in die Ursachen des Problems bleiben im Dunkeln. Kein Wunder: Tine Wittler will nicht therapieren, sondern renovieren. Quasi alles Schlechte einfach übermalen. Dementsprechend einfach gestrickt und suggestiv will sie die Situation „klären", als sie den „Seuchenherd Bad" und die „unwegsame Müllhalde Wohnzimmer" mit Silke bei einer ersten Besichtigung kritisch abschreitet: „Macht dich das nicht traurig?" Womit wenigstens für die Wohnexpertin alles Wissenswerte auf der Hand läge: Hier sieht's eklig aus, also müssen hier Handwerker rein und alles rausreißen. Mit dem Vorschlaghammer, versteht sich, das passt ja so gut in die effektheischende Dramaturgie.

Und die Familie? Wird kurzerhand in eine Ferienwohnung verfrachtet und dabei beobachtet, wie sie beginnt, wieder ein geregeltes Leben zu führen. Inklusive diverser Tine-Wittler-Resozialisierungsmaßnahmen: „Die stämmige" Silke soll Sport treiben, die jüngste Tochter Jenny endlich der besten Freundin erzählen, warum sie sie nie zu sich nach Hause eingeladen hat. Außerdem will Tine auch in Sachen Körperhygiene völlig neue Maßstäbe setzen und lädt die Dittmanns zu einem Wellness-Nachmittag ein. Ein paar Einstellungen, bei denen die drei Frauen halbnackt und damit final auch körperlich entblößt zu sehen sind, wären damit auch im Kasten. Im Hintergrund läuft selbstredend das Lied „I'm a Big Big Girl" von Emilia. Ein Schelm, wer dahinter eine Andeutung auf das Körpergewicht von Mutter Silke vermutet. Der krönende Höhepunkt: Tine will Silke verkuppeln. Ab hier startet die Show in der Show, das Projekt „Messie sucht Mann" wird sogleich in einem Nachtclub um die Ecke in Angriff genommen. Denn „schließlich wird nicht nur ihr Haus renoviert" (Off) - sondern ihr gesamtes Leben.

Währenddessen verwandelt eine kleine Horde handwerkender Statisten das Haus in eine luxuriöse Mischung aus Sonnenterasse, Riesenküche mit handgearbeiteten friesischen Fliesen und Badetempel mit Bioethanol-Dekokamin. Schön. Nach all der Zurschaustellung haben sich Silke, Jenny und Danja diese Premium-Ausstattung wirklich auch mehr als verdient. Entsprechend euphorisiert umarmen sie Tine Wittler gefühlte fünfzig Mal und werden von ihr abschließend noch in eine besonders nützliche Raffinesse des neu ausgestatteten Domizils eingeführt: „Ihr könnt die olle Flimmerkiste, wenn grad nicht ‚Einsatz in vier Wänden' läuft, einfach im Sideboard versenken." Kleiner Tipp, liebe Dittmanns: Auch währenddessen lasst ihr den Fernseher besser im Schrank.

Bild: RTL