Verbotener DDR-”Polizeiruf” bei 3sat: Meuchelmord im Filmarchiv

Der Deutsche liebt seine Fernsehgewohnheiten. Aber bitte: Wenn das EM-Vorrundenspiel Dänemark gegen Deutschland angesetzt ist, dann gibt es eben mal keinen Sonntags-"Tatort" im Ersten. Weil der Deutsche mehrheitlich auch Fußball gut findet, kann er damit sicher leben. Nur: Es soll keiner sagen, die Programmmacher bemühten sich nicht um Alternativen. Der "Polizeiruf 110: Im Alter von …", den 3sat zeitgleich zum Länderspiel zeigt, ist so eine. Der DDR-Krimi aus dem Jahr 1974 ist sogar eine echte Rarität. Einst verboten, jüngst aufwendig rekonstruiert. Spannender als die Handlung ist denn auch die Entstehungsgeschichte.

Werner Krecek, vor der Wende Bereichsleiter für dramatische Kunst im DDR-Fernsehen, hatte es damals richtig erkannt: "Zu den Spannungsfaktoren, die jeder Kriminalfilm nun einmal braucht, gehört natürlich ein Delikt von gehörigem Ausmaß." Hört, hört. Blöd nur: Schwerverbrechen waren in der DDR ideologisch nicht vorgesehen. Im Arbeiter-und-Bauern-Staat, so die offizielle Doktrin, wird nicht gemordet! Kriminalität: Das ist ein exklusives Problem der kapitalistischen Konkurrenz.

Vor diesem Hintergrund erscheint es höchst seltsam, dass ausgerechnet das DDR-Innenministerium die Anregung zu einem Film über einen authentischen Eberswalder Dreifachmord gegeben haben soll. Zwischen 1969 und 1971 hatte ein zur Tatzeit minderjähriger Mitropa-Kochlehrling drei Jungen auf bestialische Weise ermordet. 1974 schrieb die Cottbuser Autorin Dorothea Kleine ein Drehbuch auf Grundlage der Mordserie, das dann plötzlich doch zu dicht dran war an einer grausigen Wirklichkeit, die nicht sein durfte.

Der Regisseur Heinz Seibert wurde mit einer Neufassung des Skripts beauftragt. Die historischen Bezüge sollten unkenntlich gemacht werden. Unter dem Arbeitstitel "Am hellichten Tag" wurde der Film gedreht — doch noch vor dem letzten Drehtag funkten die Funktionäre dazwischen. Die Bänder wurden beschlagnahmt und sollten vernichtet werden. Heinz Seibert durfte danach nie wieder bei einem Spielfilm Regie führen.

Weil eine Filmdose falsch beschriftet wurde, gibt es den "Polizeiruf 110: Im Alter von ..." nun also doch. Der aufwendigen Rekonstruktionsarbeit des MDR sei Dank. Und natürlich Kommissar Zufall: Erst fand man tonloses Rohschnittmaterial, dann ein Drehbuch. Aktuelle "Polizeiruf"-Darsteller wie Anneke Kim Sarnau und Jaecki Schwarz sprachen die Parts der "verstummten" Ermittler von damals ein. Die da hießen: Oberleutnant Peter Fuchs (Peter Borgelt), Oberleutnant Jürgen Hübner (Jürgen Frohriep) und Leutnant Vera Arndt (Sigrid Göhler). Filmisch ist das kein Meilenstein, das muss man schon zugeben. Aber eben doch eine schöne Pointe des Schicksals, dass es diesen "Polizeiruf", der jetzt erstmals abseits der Dritten läuft, überhaupt gibt.

Der zugrundeliegende Fall des Dreifachmörders Erwin Hagedorn, der 1972 in Leipzig hingerichtet wurde, ist übrigens auch nicht in Vergessenheit geraten. Aktuell dreht Grimme-Preisträger Stephan Wagner im Auftrag des WDR einen historischen Polizeithriller mit dem Titel "Der Fall Hagedorn" in Köln und Bautzen. Ronald Zehrfeld und Ulrike C. Tscharre spielen die Hauptrollen. Wann der Film im Ersten zu sehen ist, steht noch nicht fest.

("Polizeiruf 110: Im Alter von …", Sonntag, 17. Juni, 20.15 Uhr, 3sat)