Zweite “Sherlock”-Staffel im Ersten: Zwei wie Schmidt und Andrack

So ein Ego ist beneidenswert. Eben mal die Welt retten: Nichts angenehmer als das. Für geringere Herausforderungen rafft sich der Star-Detektiv Sherlock Holmes (Benedict Cumberbatch) eh nicht dazu auf, seine Junggesellenwohnung in der Londoner Baker Street zu verlassen. Die noch viel größere Leistung: Mr. Holmes rettet hier das Unterhaltungsfernsehen. Die famose "Sherlock"-Reihe der BBC kam vergangenes Jahr beim hiesigen Publikum derart gut an, dass die ARD auch Staffel zwei orderte und den Auftaktfilm nun zur Donnerstags-Primetime sendet. "Ein Skandal in Belgravia" heißt der 90-Minüter, an dem so gar nichts skandalös, aber alles das reine Vergnügen ist.

Die Briten haben ihr kulturelles Nationalheiligtum nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst. Sherlock Holmes ist nach seiner Überführung in die Jetztzeit ein egomanischer Superdenker mit der Lizenz zum Vordenkopfstoßen. Der Pfeifenqualm hat sich verzogen. Holmes ist auf Nikotinentzug und darüber hinaus ganz ein Mann der Gegenwart. Es wird gebloggt, gesimst, und gegoogelt. Das Smartphone ist in den "Sherlock"-Filmen stets griffbereit. Die Zeiten sind schnelllebig, und der Superschnüffler ist noch viel schneller im Kopf. Trotzdem wirken die rasanten Fälle aus der Feder der Autoren Steven Moffat und Mark Gatiss noch immer britisch wie ein Teebeutel. Und sie bersten förmlich vor skurrilen Einfällen.

Die literarischen Vorlagen von Sir Arthur Conan Doyle sind nur noch schemenhaft zu erkennen. Im Staffelauftakt dreht sich zunächst alles um eine laszive Femme fatale namens Irene Adler (Lara Pulver). In der Neufassung ist die klassische Romanfigur eine Domina mit betuchten Verehrern bis rauf in den Buckingham Palace. Dort ist man begreiflicherweise darüber aufgebracht, dass die schlagkräftige Liebesdienerin pikante Aufnahmen über ihre royale Kundschaft als Lebensversicherung auf ihrem Smartphone gespeichert hat. Holmes soll die Dateien sicherstellen, was leichter gesagt ist als getan. Gegen Miss Adlers erotische Ausstrahlung zeigt sich der geniale Sonderling zwar weitgehend immun. Doch an Gerissenheit stehen sich die beiden nichts nach.

Benedict Cumberbatch ist in der Rolle des blasierten Turbokombinierers in Windeseile zum Star gereift. Mit verzweifeltem Hundeblick gibt Martin Freeman den genervten und doch stets loyalen Adlatus Watson. Ein kongeniales Duo: Wann wurde man hierzulande schon mal auf so kultivierte Weise unterhalten, seit die Late-Night-Ehe von Schmidt und Andrack geschieden wurde? Man sieht es mit einer gewissen Fassungslosigkeit: Sollte das britische Fernsehen dem deutschen wirklich solche Lichtjahre voraus sein? Die Antwort ist zweifellos Auslegungssache. Sicher ist allerdings eins: That's Entertainment!

("Sherlock — Ein Skandal in Belgravia", Donnerstag, 17. Mai, 20.15 Uhr, ARD; die weiteren Filme der neuen, dreiteiligen "Sherlock"-Staffel sendet die ARD am Pfingstsonntag und am Pfingstmontag, jeweils um 21.45 Uhr.)