Andreas Kümmert: Wollte er nie zum ESC fahren?

Nach dem Eklat beim Vorentscheid rätselt ganz Deutschland

Nachdem das Publikum Andreas Kümmert ("Heart of Stone") beim ESC-Vorentscheid zum Sieger gewählt hatte, hätte der 28-Jährige zum Grand Prix nach Wien fahren können - stattdessen sagte er ab und überließ der Zweitplatzierten Ann Sophie den Titel. Nun rätselt das Land und sucht nach dem großen Skandal: Warum trat der Sänger überhaupt an?

Am 5. März stand Andreas Kümmert beim ESC-Vorentscheid auf der Bühne (Getty Images)
Am 5. März stand Andreas Kümmert beim ESC-Vorentscheid auf der Bühne (Getty Images)

In einer Leistungsgesellschaft wie der in Deutschland liegt der Definition von Wettbewerb inne, dass es am Ende doch immer ums Gewinnen geht, nicht ums Teilnehmen. Der Sieger ist König. Undenkbar, dass einer freiwillig auf die Krone verzichten würde. Auf den Ruhm. Auf die Massen, die ihm daraufhin zu Füßen liegen. Wollen wir das nicht alle? Müssen wir das nicht alle wollen? Andreas Kümmert wollte nicht - er dankte schon bei seiner Krönung ab und drückte die ESC-Taste anstatt zum ESC zu fahren.

"Ich bin überwältigt von euch allen, von Deutschland. Aber ich bin im Moment nicht in der Verfassung, diesen Titel anzunehmen. Deswegen gebe ich ihn an Ann Sophie ab", so seine Worte zum Abschied. "Ich bin nur ein kleiner Sänger." Und raus. Was genau dahinter steckt? Noch schweigt Kümmert. Doch wer ihm wirklich zuhört statt nach dem großen Skandal zu wühlen, der da verborgen sein könnte, der hört keine Undankbarkeit, sondern eine große Unsicherheit - und womöglich auch Kümmerts innere Stimme: Warum kann ich nicht einfach nur Musik machen?

Wer Andreas Kümmert jemals, auch gestern, hat singen sehen - ohne Pomp oder große Präsenz auf der Bühne, aber mit einer Stimmgewalt und einem Gefühl, das vielen großen Künstlern fehlt, der müsste mitbekommen haben, dass der 28-jährige, schüchtern und bescheiden wirkende Musiker kein Star im herkömmlichen Sinne ist und wahrscheinlich auch gar keiner sein will.

Laut ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber sei es Kümmerts Idee gewesen, beim Vorentscheid vom ESC anzutreten. Aber selbst wenn: An welchem Punkt realisierte er, dass sich dadurch fast alles um seine Person und fast nichts mehr um seine Musik drehen würde? Wann erinnerte er sich womöglich daran, welchen Mediendruck Lena Meyer-Landrut aushalten musste, als sie den Titel 2010 tatsächlich nach Deutschland holte? Oder daran, welche Schelte die trafen, die in den vergangenen Jahren keinen der vorderen Plätze belegen konnten?

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Gut möglich, dass die Angst davor, schon zu diesem Zeitpunkt einen Rückzieher zu machen, zu groß wurde. Oder wann ist der richtige Moment auszusteigen, wenn man doch schon seit Wochen in jeder Pressemitteilung angekündigt wurde? Eine getroffene Entscheidung zu revidieren bedeutet in dieser Gesellschaft Schwäche - bei Männern noch mehr als bei Frauen. Da ist es eigentlich kein Wunder, dass Andreas Kümmert unmittelbar vor dem ESC-Vorentscheid krank wurde, wie hieß es hieß. 40 Grad Fieber habe er Sänger gehabt. Angetreten ist der Sänger trotzdem - in der Hoffnung, dass er ohnehin nicht gewinnen würde? Nur bloß alles durchziehen, bloß nicht auffallen? "Die Lampe ist zu groß, die da angeht", sagte Siggi Schuller von seiner Plattenfirma Universal in einem Video der ARD. Kümmert habe Vollgas gegeben und schließlich festgestellt, dass er es nicht packe. Der Sänger habe einfach spontan entschieden, so glaubt er.

Welche Gedanken es auch waren, die durch Kümmerts Kopf gingen: Am Ende scheint er wie ein Gewinner, der nicht mehr gewinnen wollte. Einer, der nicht Hoffnungsträger eines ganzes Landes oder gar Gallionsfigur für ein Format wie den Eurovision Song Contest sein wollte, kein Star. Nur Andreas Kümmert, der Musiker, der Sänger.

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