Sieg für den Freak: Warum Joey wirklich Dschungelkönig wurde

Was Joey Heindle und der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler gemeinsam haben? Sie sind relativ jung für ihren Job. Sie glänzen mit eher unfreiwillig lustigen Sprüchen. Sie wurden von den meisten ihrer Lagergenossen lange Zeit nicht ernst genommen. Größte Parallele: Beide, Joey und Rösler, haben gerade völlig unerwartete Triumphe gefeiert. Die Experten verwirrt. Die Gegner in den Wahnsinn getrieben. Die Fans in Taumel versetzt. 2013 – jetzt schon das große Jahr der kleinen Außenseiter? Schön wär’s!

Joey Heindle: Darum holte er sich die Dschungel-Krone (Bild: RTL / Stefan Menne)
Joey Heindle: Darum holte er sich die Dschungel-Krone (Bild: RTL / Stefan Menne)

Der Unterschied zwischen den beiden: Wie Rösler den FDP-Erfolg bei der Niedersachsenwahl nutzte, um seine Kritiker vorübergehend auszuschalten, das war eiserne Taktik. Nachdem wir über Joeys grandiosen "Dschungelcamp"-Sieg jetzt ausreichend geschlafen, uns die letzten Freudentränen aus den Augen und Aldi-Crémant-Reste aus den Mundwinkel gewischt haben, müssen wir feststellen: Hier liegt der Fall viel komplizierter.

Wie der 19-jährige Münchener die RTL-Show „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ gewann, die allseits beliebte Olivia Jones überholte – das war eine Top-Kombination aus Dramaturgie und Durchhaltevermögen. Charme spielte natürlich eine Rolle. Und das Glück, von dem viele sagen, dass es nur naive Gemüter haben.

Und während Joey und Freundin Jacqueline endlich zurück in der Kölner Heimat sind, können wir noch einen Blick auf das genaue Zahlenwerk der Dschungel-Votings werfen, die RTL nach Ende der Show veröffentlicht hat: Demnach hat Joey bei keiner einzigen Show vor dem Finale die meisten Zuschauerstimmen ergattert. Olivia Jones lag immer vorne, teilweise mit gewaltigem Abstand, mit bis zu 40 Prozent der Anrufe. Erst im Finale, in allerletzter Sekunde zog Joey an ihr vorbei. Gewann mit über 53 Prozent, rund sieben Prozent Vorsprung.

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Waren die Joey-Fans clever genug, sich ihr Handy-Guthaben bis ganz zum Schluss aufzuheben, bis zur Stunde, in der es wirklich drauf ankam? Und dann richtig loszuballern?

Die Zahlen verraten noch etwas anderes: Joey lag die Campzeit über absolut konstant auf dem zweiten Platz. Außer am 23. Januar, an dem ihn Fiona Erdmann knapp überholte, war er hinter Olivia der größte Publikumsliebling. Der Kleine habe sich über lange Distanz in die Herzen der Zuschauer gespielt, sich von der lustigen Nebenfigur zum Helden entwickelt, haben viele vermutet. Das stimmt offenbar nicht. Joey war vom Start weg in der Spitzengruppe.

Sein Hundeblick, seine Unbedarftheit, sein ganz spezieller, naiver Charakter – das alles erinnert uns auch an Gestalten, denen wir in den Casting-Shows der letzten Jahre begegnet sind. An den schwäbisch-mazedonischen Automechaniker Zlatko zum Beispiel, der in der ersten deutschen „Big Brother“-Staffel mit seiner mangelnden Bildung protzte und einen kurzen Sommer als Trash-Prominenter feierte.

An Daniel Küblböck oder den seltsamen Keyboard-Holger, die als Freaks vom Dienst bei „Deutschland sucht den Superstar“ das Publikum erheitern durften. Forrest-Gump-Typen, so lautet die TV-Regel, werden eine Zeit lang bejubelt und mitleidig akzeptiert. Aber nur solange, bis es ernst wird. Joey Heindle hat das selbst schon bei „DSDS“ erlebt, als er 2012 Fünfter wurde.

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Warum er nun die Regel brechen konnte, warum Joey als simpler Typ im Dschungel triumphieren konnte: Weil es hier nicht auf Kunstfertigkeit und Cleverness ankommt. Weil die acht Millionen Zuschauer, die Abend für Abend am RTL-C-Star-Kreis teilnehmen, sich eher die Frage stellen: Mit wem von diesen Typen würde ich gerne zusammenwohnen? Das "Dschungelcamp" funktioniert immer ein bisschen wie die Bewerbungsrunde für ein WG-Zimmer – und da scheiden nicht nur die Langweiligen aus, sondern auch die Durchtriebenen.

Joey, dieser Eindruck blieb nach jeder Sendung haften, ist zwar ein einfacher Knabe, aber einer, dem man glauben kann. Der sich nichts einflüstern lässt. Der ein brillantes, natürliches Gespür dafür hat, wer gut und wer böse ist. Es ist eher unwahrscheinlich, dass es allzu viele Wechselwähler gab, die von Olivia zu ihm übergelaufen sind. Joey gewann einfach deshalb, weil er es schaffte, alle die Zuschauer hinter sich zu scharen, denen der Hamburger Travestiekünstler zu ausgekocht, zu schlagfertig, zu altklug erschien. Als unangenehmer Mitbewohner eben.

Bleibt zu hoffen, dass Joey Heindle sich jetzt diese instinktive Klugheit bewahrt. Dass er sich von keinem einreden lässt, ein Star zu sein, der er nicht ist. Dass er in den nächsten Wochen so viel Geld wie möglich verdient, um in einem Jahr, wenn ein neuer Dschungelkönig auf dem Thron sitzt, noch etwas übrig zu haben. Morgens aufzuwachen und zu bemerken, das man tot ist – diese Redewendung hat er der deutschen Sprache geschenkt. Wir drücken die Daumen, dass ihm das nicht passiert.