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ESC-Pleite: Cascada fällt in Europa komplett durch

Song-Contest-Debakel für Deutschland: Natalie Horler landet in Malmö nur auf dem 21. Platz. Lena patzt bei der Übermittlung der deutschen Abstimmungsergebnisse. Und feiern durften fast alle anderen: Die gerade mal 20-jährige Dänin Emmelie de Forest gewann mit ihrem Märchen-Song „Only Teardrops“, der 218 Punkte und damit 200 mehr als Cascada einheimste, die Herzen der europäischen Zuschauer für sich. Im nächsten Jahr steigt die große europäische Pop-Party daher in Kopenhagen.

Von wegen "Glorious": Cascada-Sängerin Natalie Horler landete beim ESC nur auf Platz 21. (Foto: NDR/Willi Weber)
Von wegen "Glorious": Cascada-Sängerin Natalie Horler landete beim ESC nur auf Platz 21. (Foto: NDR/Willi Weber)

Katerstimmung nach dem Eurovision Song Contest-Finale in Malmö: Es ist einer dieser Abende, die man gerne schnell wieder verdrängen möchte. Was ein Triumphzug für eine Profi-Sängerin aus Deutschland hätte werden sollen, die angeblich doch in den Dance-Clubs vor allem in Osteuropa so beliebt ist, endete in einer Blamage: Der deutsche ESC-Beitrag von Cascada, auf den die ARD hohe Hoffnungen gesetzt hatte, fiel komplett durch. Und das einstige Fräulein-Wunder Lena verursachte die TV-Panne des Abends: Als sie aufgekratzt wie immer im strömenden Hamburger Regen mit den eigentlich üblichen, vorkonfektionierten Standardfloskeln die Ergebnisse der deutschen Punktvergabe in die Friends Arena in der drittgrößten schwedischen Stadt durchgeben sollte, leistete sie sich als einzige der zugeschalteten Länder-Botschafter einen peinlichen Lapsus: Sie verwechselte Norwegen mit Dänemark und gab zunächst eine Zehn-Punkte-Wertung für das falsche Land durch, um sich dann ganz schnell und sichtlich zerknirscht zu korrigieren. Sich bei so wenigen Sätzen so spektakulär zu verhauen, war ein Meisterwerk, für das sie der Großteil der vermutlich über 130 Millionen europaweit zugeschalteten Zuschauer der Live-Sendung im besten Fall bemitleidet haben dürfte. Und dann auch noch die Abstimmungsklatsche: Aus den wenigen Mini-Werten, die wie Trostpreise wirkten, summierten sich am Ende nur 18 Punkte für Deutschland. Das Minimalziel, wenigstens in die Top Ten vorzustoßen? War schnell vergessen.

Dänische Märchenfee: Emmelie de Forest ist neue ESC-Siegerin. (Foto: EBU/Thomas Hanses)
Dänische Märchenfee: Emmelie de Forest ist neue ESC-Siegerin. (Foto: EBU/Thomas Hanses)

Wie anders hätte der Abend ablaufen können, wenn, ja wenn Natalie Horler, die mit ihrem alles andere als ruhmreichen Disco-Stampfer „Glorious“ Europa komplett kalt ließ, vielleicht doch noch ein paar Punkte mehr eingeheimst hätte. Dann hätte man nach der langen Show-Nacht wieder einmal gnädig über die Gruseligkeiten hinweggesehen. So dröhnt nun der Kopf von unzähligen bizarren Arrangements – mit schrill kreischenden Dracula-Wiedergängern, Griechen im Schottenrock, Wikinger-Hühnen im Trockeneisnebel, unzähligen asymetrisch geschnittenen Anzügen und tiefgeschlitzten Wurstpellen-Roben, die von Windmaschinen gebeutelt wurden.

Es hätte ein Nacht sein können, in der sich unzählige Party-Runden an den staubtrockenen, oft sehr treffenden Ironie-Kunstwerken des deutschen ESC-Kommentators Peter Urban hätten erfreuen können. Er ist für das alljährliche Fachtreffen der Rummelplatz-Komponisten bekanntlich ein wenig das, was Rolf Seelmann-Eggebert für die ARD-Königskrönungen und Blaublüter-Hochzeiten ist. Mit seinen fein-boshaften Seitenhieben, etwa auf die 61-jährige Pop-Veteranin Bonnie Tyler, die Großbritannien ins Rennen geschickt hatte, kam man gut durchs Gröbste. Als ihr die Kamera zum Abschluss ihres mit viel Theken-Inbrunst vorgetragenen Songs „Believe in Me“ ganz nahe kam, bemerkte Urban trocken: „Da wurde wohl nicht nur die Stimme geglättet.“ Oder den Auftritt eines gutaussehenden Isländers mit langen blonden Haaren und wildem Bart, der den deutschen Zuschauern letztlich sogar acht Punkte wert war, fasst er mit dem Bonmot zusammen: „David Garrett hat heute seine Geige vergessen.“

Farid Mammadov aus Aserbaidschan brachte es auf den zweiten Platz (Foto: EBU/Thomas Hanses)
Farid Mammadov aus Aserbaidschan brachte es auf den zweiten Platz (Foto: EBU/Thomas Hanses)

Umso bedauerlicher, dass ihm in allen Cascada-Fragen die Leichtigkeit und die wohltuende Distanz komplett fehlte. Nein, Natalie Horler machte im fleischfarbenen Vokuhila-Glitzerkleid (vorne kurz, hinten lang) – noch dazu unglücklich platziert auf einem eigenartigen Plexiglas-Treppengestell, das wirkte, als wäre es bei Umbauten zufällig auf der Bühne stehen geblieben – keine gute Figur. Zumindest nicht für einen Auftritt beim ESC. Für ein Playback-Gastspiel zur Baumarkteröffnung oder am Autoscooter hätte das forcierte Gute-Laune-Gedröhn ausgereicht. Als Urban darin „Feuer und Spaß“ entdeckte, hätte man aufhorchen müssen. Als er bei der wie üblich quälend zähen Punktevergabe lange immer noch auf ein Deutschland-Wunder hoffte, wurde seine Parteinahme störend. Beim Beklagen der vermeintlichen Abstimmungs-Ungerechtigkeit („Das hat dieser Song nicht verdient“) wurde sie ärgerlich. Patriotismus ist bekanntlich das Gegenteil von Lockerheit. Und beleidigt fühlen sich die Leberwürste von selbst.

Wie David Garrett ohne Geige: Eyþór Ingi Gunnlaugsson vertrat Island beim ESC. (EBU/Thomas Hanses)
Wie David Garrett ohne Geige: Eyþór Ingi Gunnlaugsson vertrat Island beim ESC. (EBU/Thomas Hanses)

Unterm Strich bleibt der Sieg einer liebenswürdigen Waldfee, die barfuß und im weißen Fetzenkleid ein wenig an eine nordische Shakira erinnerte und in golden glänzenden Glitzerkaskaden gekonnt mit keltischen Märchenmotiven spielte. Nach dem Sieg der dänischen Formation rund um Emmelie de Forest gastiert der ESC im nächsten Jahr wohl in Kopenhagen – und die deutschen Verantwortlichen haben nach dem Cascada-Flop wieder einmal eine Sorge mehr. Gut möglich, dass sich NDR-Unterhaltungschef Thomas Schreiber, der den sogenannten deutschen Vorentscheid verantwortet und regelmäßig Rezepte zur Wiederbelebung eines oft leblosen Show-Spektakels ausprobiert, sich von seinem Sekretariat schon mal wieder Stefan Raabs Telefonnummer raussuchen lässt.