Helmut Berger pinkelt, Dirk Bach fehlt: So startete das Dschungelcamp

Das hätten die Ahnväter des Fernsehsenders RTL niemals geglaubt, als sie im Januar 1984 on air gingen: dass es auf ihrer Welle fast 30 Jahre später eine Show geben würde, die explizit damit wirbt, wie schlecht sie ist. In der die Moderatoren immer wieder freudestrahlend hervorheben, was für unfassbare Ausschussware ihre Gaststars doch seien. In der diese C-Celebrities sogar selbst peinlich detailliert betonen, wie abgewrackt sie sind. Der Möchtegern-Sänger Silva Gonzalez von der Gruppe Hot Bandidoz zum Beispiel, der in einem besonders schönen Moment der Eröffnungssendung zum neuen Dschungelcamp sinngemäß in die Kamera ruft: „Frau weggelaufen, keine Kohle mehr, erfolglos – ich bin bereit!“ Bereit für „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“, die siebte Staffel, natürlich keine Erfindung von RTL, aber längst ein Paradeformat und deutschlandweites Groß-Gesprächsthema.

Als sie noch satt und trocken waren: Die elf Kandidaten fürs Dschungelcamp 2013 (Foto: RTL)
Als sie noch satt und trocken waren: Die elf Kandidaten fürs Dschungelcamp 2013 (Foto: RTL)

Alle rechnen hier immer mit dem Schlimmsten. Alle zeigen sich von ihrer schlechtesten Seite. Und natürlich wird bei der Vorstellung von Kandidat Joey Heindle, dem gescheiterten DSDS-Teilnehmer, der Ausschnitt gezeigt, in dem Juror Dieter Bohlen das Studio verlässt, weil er den Gesang nicht mehr hören kann. „Das ist ja richtig assi!“ rutscht es dem besagten Joey kurz darauf bei der ersten Dschungelprüfung heraus, als er und Mitstreiterin Fiona Erdmann unter anderem Riesenkakerlaken in den Mund nehmen und eine Torte aus ungesundem Glibber essen müssen. Eine Aufzeichnung, aber herausgeschnitten wird eine solche Bemerkung nicht. Das Dschungelcamp – die Show, die sich selbst hasst. Und stolz darauf ist. Und trotzdem super läuft.

Ganz ähnlich funktioniert es wohl bei den Zuschauern. Die betonen ja gern, wie sehr sie sich schämen, so etwas einzuschalten. Trotzdem genießen sie es. Fast acht Millionen Zuschauer, fast 30 Prozent Marktanteil hatte RTL beim 2012er-Camp an den besten Abenden, exzellente Quoten, wie sie der Sender heute dringend braucht. Nein, Trash-Fernsehen ist nichts Neues. Aber die Art und Weise, wie dem Dschungelcamp die Minderwertigkeit, das offensiv Geschmacklose bereits ins Konzept eingeschrieben ist, überrascht schon immer wieder.

2013 wurden zu dem Zweck bekanntlich zwei weitere Tabus gebrochen. Mit Arno Funke, dem als „Dagobert“ bekannten Kaufhauserpresser, zieht zum ersten Mal jemand ins Camp ein, der allein durch Straftaten prominent wurde – eines der Beispiele, die man normalerweise nicht öffentlich geben will. Dass der Schauspieler Helmut Berger eine äußerst fragile Existenz führt, was zum erheblichen Teil mit seinem Alkoholkonsum zu tun hat, konnte man zuletzt mehrfach in Talkshows sehen. Immerhin ist mit Berger endlich ein Charakter in der Show, der tatsächlich so etwas wie Glamour mitbringt. Auch wenn bei seiner derzeitigen ruinösen Tagesform nicht viel davon zu riechen ist.

Umso überraschender, dass ausgerechnet Berger und Dagobert in der Eröffnungsshow eine gewisse Würde ausstrahlen, in sich ruhen, ohne dabei (wie letztes Mal Rainer Langhans) ins Rammdösige abzutauchen. Woran auch der Umstand nichts ändert, dass sich ein erstaunlich hoher Prozentsatz der Moderatorenwitze um Bergers Trunksucht kreisen, so penetrant, dass man irgendwann nicht mehr hinhört. Umso steiler sind die Highlights, die der 69-jährige Österreicher mit seinen eigenen Sprüchen setzt. „Eine Banane werde ich schon noch finden und einen Affen zum Bumsen“, schätzt er die eigenen Outdoor-Überlebensfähigkeiten ein, bevor er Daniela Katzenbergers Mutter Iris Klein als „die Dame, deren Tochter in Palma arbeitet“ bezeichnet und einige Streithähne raunend anherrscht: „Hört auf! Ihr werdet a bissel gewöhnlich jetzt!“ In einer Szene sieht man, wie er aus Ekel vor der Gemeinschaftstoilette im Camp an einen Baum uriniert. Das viel diskutierte Großereignis bei diesem eher mauen Staffelauftakt.

Aber man weiß ja auch schon fast alles im Voraus: Model Fiona Erdmann und Ex-„Bachelor“-Kandidatin Georgina Fleur werden sich bald bekämpfen, Sänger Patrick Nuo wird mit irgendeiner Frau eine Affäre beginnen, Silva wird sich zum Lager-Ekel mausern und so weiter. Auf den ersten Blick scheinen die Rollen im neuen Dschungelcamp schon so klar verteilt zu sein, dass es ein eher berechenbares Mahlen-nach-Zahlen-Vergnügen zu werden droht. Sieger oder Siegerin könnte dann – falls es überhaupt jemanden interessiert – Olivia Jones werden, eine Hamburger Travestiegestalt, die im Camp ebenso mütterliche wie komödiantische Qualitäten beweist, zwei Dinge, die im wahren Leben fast nie zusammengehen.

Die Abwesenheit des 2012 verstorbenen Moderators Dirk Bach wiederum tut nachhaltig weh. Sein hipstergesichtiger Nachfolger Daniel Hartwich – bekannt aus „Supertalent“ und „Let’s Dance“ – kann natürlich kein Ersatz sein, wirkt in den Rededuellen mit Sonja Zietlow wie ein strebsamer Konfirmand, wo früher der regenbogenfarbige Furor von Bach waltete. An ihn erinnerte RTL ganz am Schluss der Sendung in einer schönen kleinen Filmcollage – was noch einmal bekräftige, wie sehr seine Verrücktheiten im Camp fehlen werden. Denn echt verrückt, kreativ ungezügelt und überbordend, das alles scheint keiner der elf Kandidaten zu sein. Höchstens, wie Helmut Berger es sagen würde: gewöhnlich.

„Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ könnte 2013 zum ersten Mal wirklich so schlecht werden, wie es immer zu sein behauptet. Einschalten müssen wir trotzdem. Eine letzte Staffel lang, okay?