“Kick it like Dante”: Lutz Pfannenstiel, Rivaldo und Kahns Pech-Trikot von 2002

Der Niederbayer Lutz Pfannenstiel war Torhüter. Die ganz große Karriere blieb dem heute 41-Jährigen zumindest in Deutschland verwehrt. Vereine wie SC Zwiesel, Bad Kötzting oder der FC Vilshofen haben vielleicht in der bayerischen Provinz noch einen Ruf. Und dennoch hat Pfannenstiel eine Weltkarriere gemacht. Während seiner aktiven Laufbahn hat er bei 25 Vereinen in 13 Ländern gespielt. Zumindest glaubt er, sich bei dieser Aufzählung nicht verrechnet zu haben. Sicher ist er sich jedoch darüber, im "Guinness Buch der Rekorde" zu stehen. Er ist tatsächlich der Profifußballer, der auf allen sechs FIFA-Kontinenten sein Geld verdient hat. Auch in Brasilien stand er unter Vertrag. Das macht Pfannenstiel zu einem echten Experten, über das Gastgeberland der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft Brasilien 2014 berichten und informieren zu können. In Albert Knechtels sehenswerter Dokumentation "Kick it like Dante", die das ZDF spät in der Nacht, nach der WM-Eröffnung ausstrahlt, trifft der Niederbayer brasilianische Fußball-Idole, die ihm ihre Heimatstadt zeigen und teilweise herausragend intime Einblicke geben.

Welch ein Naturschauspiel: Sonnenaufgang in Rio de Janeiro (Bild: ZDF / Lehmann).
Welch ein Naturschauspiel: Sonnenaufgang in Rio de Janeiro (Bild: ZDF / Lehmann).

Oliver Kahn kann aufhören zu suchen. Es ist nicht in seinem Keller. Auch nicht in seinem Speicher. Oder sonst wo in einem Raum, wo der ehemalige "Titan" die wichtigsten Auszeichnungen seiner beispiellosen Torhüter-Karriere aufbewahrt. Das Trikot, in dem Kahn 2002 bei der Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea das Finale gegen Brasilien vergeigte (Endstand 0:2) ist noch nicht einmal in Deutschland. Es hängt in Brasilien – sicher hinter Glas, im beeindruckenden Trophäen-Zimmer des einstigen Weltfußballers Rivaldo (1999). Rivaldo hatte dem Titan unmittelbar vor der 1:0-Führung Brasiliens den Ball derart flattrig an den Daumen geknallt, dass Kahn nur abprallen lassen konnte. Ronaldo staubte daraufhin ab. "Ich glaube nicht, dass Kahn weiß, wo sich dieses Trikot befindet. Ich habe es und bewahre es mit großem Stolz auf. Kahn ist einer der besten Torhüter, die ich je spielen gesehen habe", lobt der Brasilianer. Nach diesen Worten darf Kahn die zweitschlimmste Finalniederlage seines Lebens abhaken. Er sollte demnächst mit Rivaldo auf eine Caipirinha gehen. Vor Ort in Brasilien ist er derzeit ja.

Rivaldo, der Albtraum von Oliver Kahn aus dem WM-Finale 2002 (Bild: ZDF / Lehmann).
Rivaldo, der Albtraum von Oliver Kahn aus dem WM-Finale 2002 (Bild: ZDF / Lehmann).

Für seine mit nur 45 Minuten leider viel zu kurze Klasse-Doku traf sich Pfannenstiel mit brasilianischen Fußball-Helden in deren Heimatorten. Bayern-Star Dante zeigt dem Niederbayern Salvador de Bahia und seinen Vater, der seine bis zum Hintern reichenden Dreadlocks seit sagenhaften 48 Jahren wachsen lässt.

Dante (r.) und Lutz Pfannenstiel im SOS-Kinderdorf in Salvador - ein Projekt, das der Star unterstützt (Bild: ZDF / Lehmann).
Dante (r.) und Lutz Pfannenstiel im SOS-Kinderdorf in Salvador - ein Projekt, das der Star unterstützt (Bild: ZDF / Lehmann).

Die aus der Bundesliga bekannten Brüder Raffael (Borussia Mönchengladbach) und Ronny (Hertha BSC Berlin) erklären ihren Heimatort Recife zu einer der gefährlichsten Städte der Welt. Zumindest Raffael weiß, wovon er berichtet. Nach einem Besuch bei der Schwiegermutter wurde er schon ausgeraubt - mit gezückter Knarre am Kopf. BVB-Idol Dede singt vor allem daheim in Belo Horizonte und Cuibá. Der heißeste Austragungsort der WM hat zwar ein Stadion aber keinen Klub, der darin spielen könnte. Einen berühmten Fußballer hat Cuibá übrigens auch nicht.

Musik am Wasserfall: So vertreibt sich die einstige BVB-Legende Dedé die Zeit (Bild: ZDF / Lehmann).
Musik am Wasserfall: So vertreibt sich die einstige BVB-Legende Dedé die Zeit (Bild: ZDF / Lehmann).

Filmemacher Knechtel und Pfannenstiel sind bei ihren Besuchen weit davon entfernt, nur belanglose Fußballerporträts sanft zu zeichnen. Aufnahmen aus Favelas, in denen Spieler wie Dante, Dede oder Rivaldo aufwuchsen, zeigen, wie bettelarm Millionen von Brasilianern heute noch sind. Die Doku geht auch immer wieder auf die teilweise gewalttätigen Ausschreitungen während des Confed Cups im vergangenen Jahr ein. Aber erst die unterschiedlichen Meinungen eines Rivaldo vs. die Einstellung eines Zico zur WM untermauern, wie innerlich zerrissen Brasilien tatsächlich zu sein scheint. Ausgerechnet die wohl besten Zehner aller Zeiten, die besten Spielmacher der Selecao in der jüngeren Vergangenheit, spielen in ihrem aktuellen Erscheinungsbild und in ihrer Meinung zur WM meilenweit aneinander vorbei. Rivaldo hat nicht nur Kahns Trikot. Er, der als 16-Jähriger seinen Vater nach einem Busunfall verlor, da er in einem städtischen Krankenhaus von Recife nicht behandelt wurde, hat eine eindeutige Meinung: "Ich war immer gegen diese WM, weil ich weiß, was es bedeutet, arm zu sein. Schaue dir nur dieses Land an, das Bildung braucht, Schulen, Gefängnisse und viele andere Dinge", sagt er mit beinahe ergreifender Offenheit aus traurigen schmalen Augen.

Der "weiße Pelé" Zico ist gegen Proteste während der WM (Bild: ZDF / Lehmann).
Der "weiße Pelé" Zico ist gegen Proteste während der WM (Bild: ZDF / Lehmann).

Währenddessen sitzt Zico, der in den 1980er-Jahren so grandios aufspielende "weiße Pelé“, an einem noch weißeren Strand im Nobelviertel von Rio de Janeiro. Auch er hat eine Meinung zu den Spielen. Über geplante Demonstrationen, die ausgerechnet während der WM auf soziale Missstände aufmerksam machen sollen, sagt er: "Ich bin nicht damit einverstanden, sie an dieses Ereignis zu koppeln. Die können doch immer demonstrieren, nur nicht zu Zeiten der WM!" Schade, "weißer Pelé"! Zico ist übrigens offizieller Botschafter der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft Brasilien 2014 (Trademark).

("Kick it like Dante": Donnerstag, 12. Juni, 0.40 Uhr, ZDF. Zuvor überträgt das Zweite ab 19.50 Uhr die Eröffnungsfeier und ab 22 Uhr das Eröffnungsspiel Brasilien - Kroatien)