“Undercover Boss”: Die “da oben” mal “ganz unten”

Die Quoten sind hoch, die Kritiken durchwachsen: Das Doku-Format „Undercover Boss", das vergangene Woche 5,68 Millionen Zuschauer vor die Bildschirme zog, wird von den einen als Qualitätsproduktion hoch gelobt, von den anderen als Dauerwerbesendung gebrandmarkt. Aber was ist es, das Publikum wie Kulturredaktionen großer Tageszeitungen derartig nachhaltig an der vierteiligen Reihe des Privatsenders RTL fasziniert? Mag es für wenig reflektierte Gemüter womöglich die pure Schadenfreude sein, die „da oben" einmal ganz „unten" die Drecksarbeit erledigen zu sehen? Für alle anderen dürfte jedoch etwas ganz anderes im Vordergrund stehen. Zwar gibt in großen Firmen und Konzernen die Chefetage Ziele und Strategien vor - abseits derart abstrakter Fragestellungen kann aber selbst der versierteste Unternehmensboss noch von seinen Mitarbeitern lernen. Dummerweise bietet das an sich interessante Konzept viel zu viele Angriffsflächen.

Johannes Borgmann, die Führungskraft der aktuellen Folge, ist seit fünf Jahren Geschäftsführer der „ADCO Umweltdienste Holding GmbH". Kennt natürlich keiner, deren Produkte - ToiToi- und Dixi-Toilettenkabinen - hingegen schon. Herr Borgmann will endlich mehr Kontakt zur Basis und seine Mitarbeiter sowie deren Aufgaben und Arbeitsalltag aus der Innenperspektive kennen lernen. Allerdings ist der Mann bereits 56 Jahre alt - also nicht gerade der Inbegriff eines körperlich zu Höchstleistungen fähigen Werktätigen. Und das ist es schließlich, was der Betrieb rund ums WC-Häuschen erfordert: Kraft beim Reinigen der Klohütten, starke Arme und Beine bei deren Montage. Aber macht ja nichts, Borgmann wuchs auf einem Bauernhof auf und weiß laut eigener Aussage, „wie man einen Besen anfassen muss oder einen Schrubber."

Ganz schön sympathisch kommt er bisher daher, doch dieses Bild nimmt leichten Schaden, als er vor versammeltem Vorstand verkündet, wo er die kommenden fünf Tage verbringen wird. Nämlich im Betrieb selbst, getarnt als Arbeit suchender Praktikant: „Ich hab mich entschieden, mal undercover zu gehen." Alles klar, der Null Null WC-Spion hat eine Mission. Trotzdem merkt der geneigte Zuschauer schon jetzt: Für den Chef ist das hier einerseits ein adäquater Weg, Schwachstellen im Arbeitsablauf persönlich zu identifizieren, andererseits aber auch eine Art lustiger Ausflug in ein Leben, das seines nie sein wird. Zumal der Trip zeitlich begrenzt ist. Danach darf er ja wieder auf seinem bequemen Chefsessel Platz nehmen.

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Bis dahin gibt er den verdeckten Ermittler in Maskerade. Die soll wohl möglichst proletarisch wirken, und tatsächlich sieht Borgmann mit Bart, in Karohemd und rustikalem Überzieher gleich wie ein einfacher Handlanger aus. Kann eigentlich nichts mehr schief gehen, wären da nicht ständig diese Kameras, die immer und überall ihre Linse draufhalten. Sei es bei der Dixi-Tour mit Volker Grenz, bei der die Auffangbehälter der Klos geleert werden, oder in der firmeneigenen Kfz-Werkstatt, in der Thomas Franke dem inkognito Boss erklärt, wie man eine Hebebühne montiert. Im Fokus der Kamera, die angeblich für eine Dokumentation filmt, mag keiner ohne Hemmungen von akuten Fehlkalkulationen berichten. Statt Anhaltspunkte für konkrete Verbesserungen zu entdecken, generiert Borgmann so streng genommen nur eine Erkenntnis: dass er für die meisten Jobs, in die er reinschnuppert, gar nicht erst geeignet wäre. Thomas Franke formuliert das am Ende eines langen Tages dann wie folgt: „Wenn ich heute so gearbeitet hätte wie der Jupp, wäre ich sicher arbeitslos."

Jupp Baum ist übrigens das Pseudonym Borgmanns während des Experiments. In dieser Rolle erlebt er außerdem noch eine stets Überstunden schiebende Hofarbeiterin, einen agilen Werksarbeiter aus der Produktion sowie eine Klofrau auf dem Weihnachtsmarkt, die sich für ihr Schaffen nicht zu schade ist. Gut so, findet auch Borgmann, und beendet seine Woche im Dienst der menschlichen Hinterlassenschaften mit einem euphorisierten Fazit („Unsere Mitarbeiter sind toll!") sowie einer Runde vorgezogener Bescherung. Alle, mit denen er unterwegs war, erhalten eine Urlaubsreise. Außerdem werden ein, zwei Verbesserungen in den Werken angestoßen. Trotzdem wird man das Gefühl nicht los: Der amüsante Abstecher des WC-Chefs in die etwas andere Geschäfts-Welt hat vor allem ihm selbst geholfen. Mit dem Lächeln eines Mann, der weiß, nie wieder Urinale reinigen oder ToiToi-Klos ausspülen zu müssen, verkündet er: „Es hat mich auch wieder ein bisschen geerdet."

Bilder: RTL