Götz George wird 75: Schimanski, der Schauspielverderber

Jetzt, zum 75. Geburtstag, wo überall die ganz großen Loblieder auf den Schauspieler Götz George ausgepackt werden, auf seine Brillianz, sein kulturelles Heldentum – da wollen wir doch mal schauen, welche Peinlichkeiten der Mann so produziert hat. Nur aus Neugier. Das gibt es ja im Programm der meisten deutschen Schauspieler, die in den 70er- und 80er-Jahren unterwegs waren, egal, wie gut sie sind: Softpornos à la „Schulmädchenreport“. Paukerfilme. Klamaukstreifen, in denen Schimpansen und Sekretärinnen mit offener Bluse umherlaufen. Wäre ja keine Schande, wenn auch George hier irgendwann als verirrter Schmetterlingsfänger durchs Bild gestolpert wäre.

Götz George: Schimanski forever! Hier beim Dreh zum neuen Krimi "Loverboy". (Bild: ddp/Ulrik Eichentopf)
Götz George: Schimanski forever! Hier beim Dreh zum neuen Krimi "Loverboy". (Bild: ddp/Ulrik Eichentopf)

Der Blick in die Filmografie zeigt, überraschend: Nein, da ist wirklich nichts. Kein B-Movie. In den 60er-Jahren war Götz George in ein paar Winnetou-Filmen dabei. Außerdem in einem Machwerk namens „Sie nannten ihn Gringo“, muss aber nicht allzu schlimm gewesen sein. Die vergessene TV-Serie „Diamantendetektiv Dick Donald“, in der er ab 1971 die Titelrolle hatte, ist sogar richtig gut. Trotz des trashigen Titels.

Wie das wohl sein wird, wenn Til Schweiger im Jahr 2038 seinen Fünfundsiebzigsten feiert? George, am 23. Juli 1938 in Berlin geboren, hatte zeitweise ja ähnlich hohe Popularitätswerte wie Schweiger. Was dem einen sein „Zweiohrküken“-Ludo ist, war ihm der Hauptkommissar Horst Schimanski aus Duisburg, wahrscheinlich der berühmteste „Tatort“-Cop aller Zeiten, laut Umfrage von 2008 der beliebteste. Die erste Figur, die im deutschen Fernsehen ungestraft „Scheiße!“ brüllen durfte. Einer dieser Jahrhundert-Charaktere, von denen Schauspieler später oft sagen, sie seien wie ein Fluch – weil man ihnen nie mehr entkommt. George sieht seinen Duisburger Doppelgänger nicht so. Er spielt ihn heute noch, in einer eigenen Serie, weit über die Polizistenrente hinaus.

TV-Kritik: "George" - der Sohn spielt den Vater

War Götz George irgendwann nur noch Schimanski? Betrügt uns unser Gedächtnis? Nein, auch das nicht. Wir erinnern uns an den wunderbaren Schmierenreporter, den er später in der Hitler-Tagebücher-Parodie „Schtonk“ spielte. An den grausig faszinierenden Psychopathen in „Der Totmacher“. Den Regie-Wichtigtuer in „Rossini“, wo George die fast komplett anwesende deutsche Schauspiel-Elite an die Wand spielte. An den Psychokrimi „Solo für Klarinette“ von 1998, den wir zwar alle nicht gesehen haben, den George aber so schön verteidigte, in der legendären „Wetten, dass ...?“-Folge, in der er Gottschalk einen Oberlehrer nannte und dafür vom Saalpublikum ausgepfiffen wurde.

Viele sagen, das Nervpotential des Götz George liege darin, dass er sich zu ernst nehme. Als Schauspieler, als Zeitgenosse. Als Sohn eines berühmten, umstrittenen Vaters, des zur Nazizeit im Kino aktiven Heinrich George, den der Sohn nun im TV-Film „George“ sogar selbst spielt. Aber das ist nicht wirklich das Problem. Einem Darsteller vorzuwerfen, er nehme sich zu ernst – das ist so ähnlich, als würde man einen Lehrer dafür kritisieren, dass er sich zu gewissenhaft auf seinen Unterricht vorbereite. Eigentlich bräuchten wir viel mehr solche Sich-Ernstnehmer.

Was George entscheidend fehlt, ist die Sentimentalität, mit der so viele Künstler ihr eigenes Werk durchnebeln. Mit der sie ihren Zuschauern das sichere Gefühl geben, einer von ihnen zu sein, ihre Filme, Auftritte und überhaupt ihre Karriere mit denselben Augen zu sehen wie das Publikum. Wer den Leuten das verweigert, wer ihnen signalisiert, dass Schauspielen Leiden sein kann, Entbehrung, echte Arbeit – der macht sich unbeliebt. Götz George, der Spielverderber. Der Schauspielverderber.

TV-Legende gestorben: Loriot-Star Heinz Meier ist tot

Heute wohnt er die meiste Zeit auf Sardinien, auch eine leicht theatralische Geste, um die nötige Distanz zu Deutschland zu signalisieren. Kommt ab und zu kurz rüber zu uns, für Dreharbeiten in Duisburg oder Babelsberg. Spielt nun, als alter Mann, in TV-Movies mit Titeln wie „Papa allein zu Haus“ oder „Schokolade für den Chef“ oder „Lüg weiter, Liebling“, also durchaus auch in Filmen, die keine hohe Kunst sein dürften. Der Bullshit-Detektor ist das eine. Die Erkenntnis, dass Schauspielen auch auf diesem Niveau ein ernstzunehmender Job ist, etwas für Malocher, die unter Umständen für einen Fernseh-Röschenstreifen genau so viel schwitzen müssen wie für ein Autorenstück – die ist das andere. Und auch die verdanken wir Götz George.

„Für mich ist die ganze Welt ein großer Arsch“, hat er als Schimanski mal gesagt. „Die rechte Arschbacke, das sind die Amerikaner. Die linke Arschbacke sind die Russen, und wir hier in Europa, wir sind das Arschloch.“ Das war zwar eine Weisheit aus dem kalten Krieg, aber man kann sie ins Heute erweitern: Wer genug Selbsterkenntnis hat, kann auch lachen und seine Currywurst genießen, wenn er mitten im Dreck steckt. Und dann überraschend zuschlagen. Danke, Götz George – und alles Gute zum 75. Geburtstag!

Die ARD feiert den Ausnahme-Schauspieler am 24.Juli mit einem Special: Ab 20.15 Uhr läuft der Schimanski-Tatort "Schuld und Sühne", ab 21.45 "George".